dr. levy

Der aus Sensweiler stammende Arzt Dr. med. Wilhelm Levy und seine Familie

von Axel Brunk


Früher gab es in Sensweiler das sogenannte Oberdorf und das Unterdorf. Alle Gehöfte, die oberhalb der kleinen evangelischen Kirche angesiedelt waren, bezeichnete man als Oberdorf, den unterhalb gelegenen Teil als Unterdorf. Zwei Familien mit dem gemeinsamen Familiennamen Levy wohnten sich in ihren Häusern genau gegenüber an der Hauptstraße im Oberdorf. Die Familie Levy stammte ursprünglich aus Stipshausen. Die Familie von Bernhard Levy und seiner Frau Jettchen lebte von einer kleinen Landwirtschaft und einem Viehhandel, sein Sohn Emanuel betrieb gegenüber mit seiner Frau Hilde ein Lebensmittelgeschäft mit kleiner Metzgerei. 

Ende des 19. Jahrhunderts standen die Kriegsveteranen, die im Deutsch-Französischen Krieg (1870/71) kämpften und besonders diejenigen, die bei der Schlacht von Sedan dabei waren, ganz hoch im Ansehen der Bevölkerung. So auch ein ehemaliger Dorfladenbesitzer namens Levy. Eine alte Ehrentafel zum Gedenken der Soldaten, die im Ersten Weltkrieg gedient haben, zeigt sogar gleich drei Kriegsteilnehmer mit Bild und dem Namen Levy alphabetisch aufgelistet unter den anderen Kameraden aus dem Dorf. Levys waren zwar mit keinem im Dorf verwandt oder verschwägert aber doch weitestgehend in der Dorfgemeinschaft toleriert. Oft waren sie auch Anlaufstelle bei Geldangelegenheiten bzw. Geldschwierigkeiten von Dorfbewohnern, besonders wenn ein gewünschtes Darlehen von der Bank verwehrt worden war. Am Auffälligsten war jedoch, dass man Levys sonntags nie in der evangelischen Dorfkirche, oder in der katholischen Kirche der Nachbargemeinde Langweiler zu sehen bekam. Levys waren jüdischen Glaubens. Laut einem Handbuch des Bistums Trier von 1938 lebten in Sensweiler damals 19 Katholiken und 10 Juden. Ursprünglich gehörten die in Bruchweiler, Sensweiler und Wirschweiler lebenden Juden zur jüdischen Gemeinde in Hottenbach, die 1932 aufgelöst wurde. Der überwiegende Teil der Bevölkerung von Sensweiler und den umliegenden Dörfer lebte damals von der Landwirtschaft. Durch die Nähe zum Idarbach arbeiteten aber auch einige als Schleifer in den mit Wasserkraft angetriebenen Schleifereien. In dieser ruhigen ländlichen Abgeschiedenheit wurde am 11.4.1894 in Sensweiler Wilhelm Levy als Sohn des Viehhändlers Bernhard geboren. Bernhard hatte bei vielen einen sehr guten Ruf im Dorf und war sogar Vormund des evangelischen Nachbarsjungen, dessen Eltern beide früh verstorben waren. Erhalten ist aus dem Jahr 1919 der Lehrvertrag zwischen dem Edelsteinschleifer Wild aus Kirschweiler und dem Nachbarsjungen, den Bernhard als Vormund unterzeichnen musste. Wie alle Kinder besuchte auch Wilhelm die Dorfschule, machte aber im Anschluss in Oberstein das Abitur an der „Gemeinschaftliche Realschule“. Das Gebäude an der Mündung des Göttenbachs in den Idarbach beherbergt heute die Dienstelle der Idar-Obersteiner Polizei. Am 03.05.1914 immatrikulierte er an der Hochschule Bonn für den Studiengang Medizin. In seiner Zeit in Bonn lernte er auch seine spätere Frau Adele Moses kennen, die ebenfalls jüdischen Glaubens war. 1925 eröffnete Wilhelm in seinem Haus in der Kobachstraße 11 in Idar eine, für die damalige Zeit, sehr modern ausgestattete Arztpraxis. Zur Ausstattung der Praxisräume gehörte sogar schon ein Röntgengerät. Als kompetenter Mediziner und sympathischer Mensch erfreute er sich schnell großer Beliebtheit bei der Bevölkerung. Auch die Fabrikantenfamilie Fissler ließ sich von Dr. Levy behandeln. Im April 1933 verloren alle „nichtarischen“ Ärzte ihre Anstellungen im öffentlichen Gesundheitswesen. Nur wenig später entzog man den jüdischen Ärzten die kassenärztliche Zulassung und sie konnten somit nur noch Privatpatienten behandeln. Im Juli 1933 wurde verboten, dass sogenannte „fremdrassige“ Ärzte mit „deutschstämmige“ Kollegen zusammenarbeiten dürfen. Praxisgemeinschaften und die Zusammenarbeit mit jüdischen Medizinern wurden als Folge ebenfalls untersagt. Somit waren auch Überweisungen an „arische“ Kollegen nicht mehr erlaubt. 1936 erging ein Erlass, dass es Beamten verbot, sich von jüdischen Ärzten behandeln zu lassen. Ab 1937 durften Juden keine Doktortitel mehr erwerben. Nach dem Erlass der Vierten Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 25. Juli 1938 wurde jüdischen Ärzten mit Wirkung vom 30. September 1938 die Approbation entzogen. Wenige erhielten eine widerrufliche Genehmigung, als „Krankenbehandler“ um ausschließlich für jüdische Patienten tätig zu sein. Bis zu diesem Zeitpunkt im September praktizierte Dr. Levy trotz aller Widrigkeiten in seiner Arztpraxis in Idar. Sein fachliches Können wurde auch von vielen Nationalsozialisten geschätzt, die sich gerne von ihm behandeln ließen. Bekannt ist eine Entscheidung der Obersten SA-Führung aus dem Jahr 1935, die einen Obersteiner SA-Sturmführer aus der SA ausschloss, weil er seine Frau, im Vertrauen auf Dr. Levys weit geschätzte medizinische Kompetenz, von ihm behandeln ließ. Am 1. Oktober 1938 musste Dr. Levy auf Anordnung der Nationalsozialisten seine Praxis endgültig schließen. Aus dem Jahr 1949 existiert eine Akteneintragung der AOK mit Betreff: „Die Zulassung des Herrn Dr. Levy zur Kassenpraxis“ und Aktenvermerk: „Von 1935 bis zum 1. Oktober 1938 war der prakt. Arzt Herr Dr. Levy, als Kassenarzt für unsere Kasse zugelassen. Der Genannte hat auch nach der Machtübernahme noch jahrelang eine sehr beachtliche Kassen- und Privatpraxis gehabt.“ In der Reichspogromnacht, der Nacht vom 09.11. auf den 10.11.1938 hielt sich Dr. Levy mit seiner Frau in deren Geburtsort Bonn zu Besuch auf, als organisierte Schlägertrupps jüdische Geschäfte, Häuser und Synagogen demolierten und teilweise in Brand setzen. Auch sein Wohnhaus und die Praxisräume in der Kobachstraße wurden völlig verwüstet. Die komplette Wohnungseinrichtung und die Praxisausstattung wurden zerschlagen. Der Mob nutze auch die Gelegenheit und plünderte, trotz ausdrücklichem Plünderungsverbots, viele kostbare Wertgegenstände. In seinem Heimatort Sensweiler wären die jüdischen Familien fast unbehelligt davon gekommen, wenn nicht der regimetreue und fanatische Lehrer des Ortes, seine Schüler dazu angestiftet hätte, die Fensterscheiben bei einzuwerfen. Gerade in Sensweiler gab es viele Anhänger und auch Mitglieder der NSDAP. Die Parteimitgliedschaft eröffnete für viele gute berufliche Aufstiegsmöglichkeiten und damit verbundene Verdienstmöglichkeiten. So war es oft möglich, auch ohne entsprechende Qualifikationen, attraktive Anstellungen auf einem Amt zu bekommen. Die Nationalsozialistischen Jugendweihen ersetzten auch vielfach Konfirmationen und Kommunionen obwohl diese nie vom Regime verboten wurden. Nach dem Krieg wurden von vielen die Konfirmationen nachgeholt.


Die Umsätze in dem Lebensmittelgeschäft von Emanuel Levy gingen seit 1933 stark zurück und Anfang 1938 musste er das Geschäft schließen. Im Frühjahr 1939 zog er mit Frau und der siebenjährigen Tochter Else nach Idar in eine Zweizimmerwohnung in das Haus von Dr. Wilhelm Levy. (Andere Quellen nennen das Haus von Wilhelm Levy in der Wingertstraße.) Die Familie wollte auswandern, schaffte es aber nicht mehr rechtzeitig auf einer Auswanderungsliste gelistet zu werden. Am 27.07.1942 wurde die Familie nach Theresienstadt deportiert. Dort angekommen wurde Emanuel ermordet. Über das weitere Schicksal seiner Frau und Tochter ist nichts im Detail bekannt.


Nach der Praxisschließung arbeiteten Dr. Levy und sein Bruder eine Zeit lang im Familienunternehmen Fissler und verrichteten dort Büroarbeiten. Wie in vielen anderen Unternehmen auch, wurde überall dringend Personal benötigt, um die zur Wehrmacht einberufenen Mitarbeiter zu ersetzen. In der Ausgabe des Heimatkalenders aus dem Jahr 1982 wird von einem ehemaligen Hitlerjungen und Patienten geschrieben, wie Dr. Levy im das Leben nach einem Unfall rettete. „Zum Glück war rechtszeitig Hilfe zur Stelle. Ich lag hilflos da, das blutige Messer neben mir. Man verband mich notdürftig und rief nach dem nächstbesten Arzt, ohne sich an dem gelben Davidstern zu stören, den er, wie alle seine Glaubensgenossen, damals tragen mussten…Auf einer Bahre wurde ich nach Hause gebracht. Dr. Levy begleitete den Transport, um sich bei meinen Eltern zu entschuldigen. Er entschuldigte sich damit, dass Eile geboten sei und auch er den Hippokratischen Eid geschworen habe.“ Am 27. November 1941 verließ das Ehepaar Levy Idar-Oberstein mit Ziel Bonn. Im Herbst 1941 begannen die Deportationen von jüdischen Menschen aus dem sogenannten „Altreich“ mit Transportzügen der Deutschen Reichsbahn in die von deutschen Truppen besetzten Gebiete im Osten. Ziel dieser Transporte waren oft Polen, Litauen, Lettland und Weißrussland. Dort angekommen, wurden sie in Gettos untergebracht und bis zum Weitertransport in die Vernichtungslager der Nazis zur Zwangsarbeit gezwungen. Nach der 11. Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 25. November 1941verloren alle deutschen Juden, die sich im Ausland aufhielten, nicht nur ihre deutsche Staatsangehörigkeit sondern auch ihr gesamtes Vermögen. Alle Vermögenswerte gingen auf das Deutsche Reich über. Dies wurde nicht nur bei jüdischen Emigranten angewendet, sondern auch auf deportierte Juden. Die Finanzverwaltung hatte die Aufgabe, den Hausrat und das übrige Vermögen der deportierten Juden zu verwerten, welches in der Regel meistbietend versteigert wurde.

In einer Berliner Villa am Wannsee tagten am 20. Januar 1942 hochrangige Vertreter der SS, Polizei und Besatzungsbehörden aus den Ostgebieten um die bereits begonnene systematische Ausrottung der europäischen Juden im Detail genauestens zu organisieren und die Zusammenarbeit der beteiligten Instanzen zu koordinieren.

Nach dieser „Wannsee-Konferenz“ trafen auch die lokalen Behörden verstärkt Maßnahmen alle Juden ausnahmslos zu erfassen und abzutransportieren. Bereits im April 1942 erfolgte ein Transport aus unserem Kreisgebiet. Die zur Deportation bestimmten Juden aus dem Kreis Birkenfeld wurden in ein Sammellager in der Nähe des Bahnhofs von Neubrücke gebracht. Am 28. Juli startete ein Transport mit 1163 Juden ins Ghetto (Konzentrationslager) Theresienstadt (heute Terezín inTschechien).

Am 19. Dezember wurde das Ehepaar Levy zusammen mit anderen jüdischen Mitbürgern im Benediktinerinnen Kloster in Edenich, einem Stadtteil von Bonn interniert. Das Kloster war von 1941 bis 1945 beschlagnahmt und diente anfänglich als Sammellager für Bonner Juden. Die Nonnen mussten das Kloster verlassen und als Pflegerinnen in Altersheimen und Krankenhäusern unterkommen. In den Briefen von Frau Adele Levy, die seit 2001 im Stadtarchiv von Idar-Obersteiner aufbewahrt werden, ist zu lesen, dass ihrem Mann die ärztliche Leitung im Lager Edenich von der Gestapo anbefohlen wurde. Am 27 Juli 1942 wurden die Insassen des Lagers ebenfalls nach Theresienstadt überstellt, wo man erneut Dr. Levy die medizinische Verantwortung für die Gefangenen auferlegte. 

Nach über 26 Monaten Lageraufenthalt wurden die Eheleute Levy am 28. Oktober 1944 in einem Güterzugtransport in das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz deportiert. Der Lagerkomplex befand sich im annektierten Teil von Polen und wurde von 1940 bis 1945 von der SS betrieben. Dort angekommen nahm die SS bereits auf dem Bahnsteig die ersten Selektionen vor und Dr. Levy wurde dort von seiner Frau getrennt. Auf diesem Bahnsteig verliert sich seine Spur. Über sein weiteres Schicksal ist nichts mehr bekannt. Der Begriff Selektion bezeichnet im Nationalsozialismus die Aussonderung von „nicht arbeitsverwendungsfähigen“ Personen, die anschließend ermordet wurden. Im zeitgenössischen Sprachgebrauch der SS-Wachmannschaften wurde dies allerdings als Aussortierung oder Ausmusterung bezeichnet. Nach einer kurzen Zeit in Auschwitz verlegte man Frau Levy in das KZ Bergen-Belsen (Niedersachsen), einige Wochen später nach Salzwedel (Sachsen-Anhalt). Das KZ Salzwedel war ein Frauenlager, das nicht mehr rechtzeitig vor dem Einrücken alliierter Streitkräfte von der SS „geräumt“ werden konnte. 3000 Frauen wurden am 14. April 1945 von der 9. US-Armee befreit.

Als einzige jüdische Überlebende aus Idar-Oberstein kehrte Frau Adele Levy am 17. Juni 1945 nach Idar zurück. Auf Betreiben einer Wiedergutmachungsklage erhielt sie das Hausgrundstück in der Kobachstraße 11 zurück und bezog wieder ihr Haus. Nach intensivem aber erfolglosem Suchen, langem Warten und Hoffen wurde Dr. Levy 1951 für Tod erklärt. Frau Levy starb am 22. Juli 1977 und fand auf dem jüdischen Friedhof in Bonn ihre letzte Ruhestätte. Nach Sensweiler kehrte keiner seiner jüdischen Mitbürger zurück.


Bernhard und Jettchen Levy mussten den Viehhandel wegen starken Rückgangs des Geschäfts aufgeben. Nach 1941 wurden sie deportiert und später für tot erklärt.


Wilhelm Levy (geb. 1870) Sohn von Elias und Adelheid (Stipshausen), verheiratet mit Paula, lebte später in Köln. Deportiert 27.07.42 nach Theresienstadt, Todesdatum 01.08.1943.


Levy Erich (geb. 1927) und Adele Levy (geb. 1930), Kinder von Wilhelm und Paula Levy, deportiert 27.07.42 nach Theresienstadt, 04.10.1944 Ausschwitz, verschollen.


Wilhelm (geb. 1860, Stipshausen) und Rosalie Levy (geb. 1873), lebten bis 1927 in Sensweiler und kauften in Idar ein Haus in der Wingertstraße, das 1940 wieder verkauft werden musste. Umzug mit Tochter nach Köln. Deportiert 27.07.42 nach Theresienstadt, 19.09.1942 Treblinka, verschollen in Minsk. Tochter Martha wurde von Köln aus am 06.12.1941 nach Lettland deportiert, überlebte den Holocaust und kehrte 1945 nach Köln zurück.

 

Moritz Levy (geb. 1897), Sohn von Wilhelm und Rosalie, lebte bis 1927 in Sensweiler, zog dann mit nach Idar und wanderte 1936 nach Holland aus. Seine Schwester

Ella Levy (geb. 1890) folge 1937 nach Holland. Beide wurden nach dem Einmarsch deutscher Truppen von den Nazis ergriffen, deportiert und kamen in Ausschwitz um.


Josef Levy (geb.?) Sohn von Wilhelm und Rosalie, lebte bis 1927 in Sensweiler, zog auch mit nach Idar, anschließend 1934 nach Saarbrücken und weiter nach Luxemburg. Er wurde nach dem Einmarsch deutscher Truppen in die Beneluxländer ergriffen, nach Theresienstadt deportiert und in Ausschwitz ermordet.


2011 verlegte der Kölner Künstler Gunter Demnig 2 Stolperstein vor dem Haus in der Kobachstraße, dass mittlerweile abgerissen worden ist. In Senweiler erinnert nichts mehr an seine jüdischen Mitbürger.


Quellen:

Axel Redmer, „Die Reichskristallnacht in Idar-Oberstein“, Heimatkalender 1982

Udo Salomon, „Idar-Oberstein Geschichte der Stadt von der Antike bis ins 21. Jahrhundert“

Manfred Rauscher, „Ich selbst bin wie ein Wunder dieser Hölle entkommen…“, Heimatkalender 1982

Nahe Zeitung, „Die meisten kamen nicht zurück“, 27.07 2002

Karl Eberhard Wild, „Ausbruch aus dem Gehorsam“, Heimatkalender 1982

Reiner Schmitt, „Die Opfer der nationalsozialistischen Judenverfolgung aus den Orten des Birkenfelder Landes“ 2011


dr. levy

Der aus Sensweiler stammende Arzt Dr. med. Wilhelm Levy und seine Familie

von Axel Brunk


Früher gab es in Sensweiler das sogenannte Oberdorf und das Unterdorf. Alle Gehöfte, die oberhalb der kleinen evangelischen Kirche angesiedelt waren, bezeichnete man als Oberdorf, den unterhalb gelegenen Teil als Unterdorf. Zwei Familien mit dem gemeinsamen Familiennamen Levy wohnten sich in ihren Häusern genau gegenüber an der Hauptstraße im Oberdorf. Die Familie Levy stammte ursprünglich aus Stipshausen. Die Familie von Bernhard Levy und seiner Frau Jettchen lebte von einer kleinen Landwirtschaft und einem Viehhandel, sein Sohn Emanuel betrieb gegenüber mit seiner Frau Hilde ein Lebensmittelgeschäft mit kleiner Metzgerei. 

Ende des 19. Jahrhunderts standen die Kriegsveteranen, die im Deutsch-Französischen Krieg (1870/71) kämpften und besonders diejenigen, die bei der Schlacht von Sedan dabei waren, ganz hoch im Ansehen der Bevölkerung. So auch ein ehemaliger Dorfladenbesitzer namens Levy. Eine alte Ehrentafel zum Gedenken der Soldaten, die im Ersten Weltkrieg gedient haben, zeigt sogar gleich drei Kriegsteilnehmer mit Bild und dem Namen Levy alphabetisch aufgelistet unter den anderen Kameraden aus dem Dorf. Levys waren zwar mit keinem im Dorf verwandt oder verschwägert aber doch weitestgehend in der Dorfgemeinschaft toleriert. Oft waren sie auch Anlaufstelle bei Geldangelegenheiten bzw. Geldschwierigkeiten von Dorfbewohnern, besonders wenn ein gewünschtes Darlehen von der Bank verwehrt worden war. Am Auffälligsten war jedoch, dass man Levys sonntags nie in der evangelischen Dorfkirche, oder in der katholischen Kirche der Nachbargemeinde Langweiler zu sehen bekam. Levys waren jüdischen Glaubens. Laut einem Handbuch des Bistums Trier von 1938 lebten in Sensweiler damals 19 Katholiken und 10 Juden. Ursprünglich gehörten die in Bruchweiler, Sensweiler und Wirschweiler lebenden Juden zur jüdischen Gemeinde in Hottenbach, die 1932 aufgelöst wurde. Der überwiegende Teil der Bevölkerung von Sensweiler und den umliegenden Dörfer lebte damals von der Landwirtschaft. Durch die Nähe zum Idarbach arbeiteten aber auch einige als Schleifer in den mit Wasserkraft angetriebenen Schleifereien. In dieser ruhigen ländlichen Abgeschiedenheit wurde am 11.4.1894 in Sensweiler Wilhelm Levy als Sohn des Viehhändlers Bernhard geboren. Bernhard hatte bei vielen einen sehr guten Ruf im Dorf und war sogar Vormund des evangelischen Nachbarsjungen, dessen Eltern beide früh verstorben waren. Erhalten ist aus dem Jahr 1919 der Lehrvertrag zwischen dem Edelsteinschleifer Wild aus Kirschweiler und dem Nachbarsjungen, den Bernhard als Vormund unterzeichnen musste. Wie alle Kinder besuchte auch Wilhelm die Dorfschule, machte aber im Anschluss in Oberstein das Abitur an der „Gemeinschaftliche Realschule“. Das Gebäude an der Mündung des Göttenbachs in den Idarbach beherbergt heute die Dienstelle der Idar-Obersteiner Polizei. Am 03.05.1914 immatrikulierte er an der Hochschule Bonn für den Studiengang Medizin. In seiner Zeit in Bonn lernte er auch seine spätere Frau Adele Moses kennen, die ebenfalls jüdischen Glaubens war. 1925 eröffnete Wilhelm in seinem Haus in der Kobachstraße 11 in Idar eine, für die damalige Zeit, sehr modern ausgestattete Arztpraxis. Zur Ausstattung der Praxisräume gehörte sogar schon ein Röntgengerät. Als kompetenter Mediziner und sympathischer Mensch erfreute er sich schnell großer Beliebtheit bei der Bevölkerung. Auch die Fabrikantenfamilie Fissler ließ sich von Dr. Levy behandeln. Im April 1933 verloren alle „nichtarischen“ Ärzte ihre Anstellungen im öffentlichen Gesundheitswesen. Nur wenig später entzog man den jüdischen Ärzten die kassenärztliche Zulassung und sie konnten somit nur noch Privatpatienten behandeln. Im Juli 1933 wurde verboten, dass sogenannte „fremdrassige“ Ärzte mit „deutschstämmige“ Kollegen zusammenarbeiten dürfen. Praxisgemeinschaften und die Zusammenarbeit mit jüdischen Medizinern wurden als Folge ebenfalls untersagt. Somit waren auch Überweisungen an „arische“ Kollegen nicht mehr erlaubt. 1936 erging ein Erlass, dass es Beamten verbot, sich von jüdischen Ärzten behandeln zu lassen. Ab 1937 durften Juden keine Doktortitel mehr erwerben. Nach dem Erlass der Vierten Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 25. Juli 1938 wurde jüdischen Ärzten mit Wirkung vom 30. September 1938 die Approbation entzogen. Wenige erhielten eine widerrufliche Genehmigung, als „Krankenbehandler“ um ausschließlich für jüdische Patienten tätig zu sein. Bis zu diesem Zeitpunkt im September praktizierte Dr. Levy trotz aller Widrigkeiten in seiner Arztpraxis in Idar. Sein fachliches Können wurde auch von vielen Nationalsozialisten geschätzt, die sich gerne von ihm behandeln ließen. Bekannt ist eine Entscheidung der Obersten SA-Führung aus dem Jahr 1935, die einen Obersteiner SA-Sturmführer aus der SA ausschloss, weil er seine Frau, im Vertrauen auf Dr. Levys weit geschätzte medizinische Kompetenz, von ihm behandeln ließ. Am 1. Oktober 1938 musste Dr. Levy auf Anordnung der Nationalsozialisten seine Praxis endgültig schließen. Aus dem Jahr 1949 existiert eine Akteneintragung der AOK mit Betreff: „Die Zulassung des Herrn Dr. Levy zur Kassenpraxis“ und Aktenvermerk: „Von 1935 bis zum 1. Oktober 1938 war der prakt. Arzt Herr Dr. Levy, als Kassenarzt für unsere Kasse zugelassen. Der Genannte hat auch nach der Machtübernahme noch jahrelang eine sehr beachtliche Kassen- und Privatpraxis gehabt.“ In der Reichspogromnacht, der Nacht vom 09.11. auf den 10.11.1938 hielt sich Dr. Levy mit seiner Frau in deren Geburtsort Bonn zu Besuch auf, als organisierte Schlägertrupps jüdische Geschäfte, Häuser und Synagogen demolierten und teilweise in Brand setzen. Auch sein Wohnhaus und die Praxisräume in der Kobachstraße wurden völlig verwüstet. Die komplette Wohnungseinrichtung und die Praxisausstattung wurden zerschlagen. Der Mob nutze auch die Gelegenheit und plünderte, trotz ausdrücklichem Plünderungsverbots, viele kostbare Wertgegenstände. In seinem Heimatort Sensweiler wären die jüdischen Familien fast unbehelligt davon gekommen, wenn nicht der regimetreue und fanatische Lehrer des Ortes, seine Schüler dazu angestiftet hätte, die Fensterscheiben bei einzuwerfen. Gerade in Sensweiler gab es viele Anhänger und auch Mitglieder der NSDAP. Die Parteimitgliedschaft eröffnete für viele gute berufliche Aufstiegsmöglichkeiten und damit verbundene Verdienstmöglichkeiten. So war es oft möglich, auch ohne entsprechende Qualifikationen, attraktive Anstellungen auf einem Amt zu bekommen. Die Nationalsozialistischen Jugendweihen ersetzten auch vielfach Konfirmationen und Kommunionen obwohl diese nie vom Regime verboten wurden. Nach dem Krieg wurden von vielen die Konfirmationen nachgeholt.


Die Umsätze in dem Lebensmittelgeschäft von Emanuel Levy gingen seit 1933 stark zurück und Anfang 1938 musste er das Geschäft schließen. Im Frühjahr 1939 zog er mit Frau und der siebenjährigen Tochter Else nach Idar in eine Zweizimmerwohnung in das Haus von Dr. Wilhelm Levy. (Andere Quellen nennen das Haus von Wilhelm Levy in der Wingertstraße.) Die Familie wollte auswandern, schaffte es aber nicht mehr rechtzeitig auf einer Auswanderungsliste gelistet zu werden. Am 27.07.1942 wurde die Familie nach Theresienstadt deportiert. Dort angekommen wurde Emanuel ermordet. Über das weitere Schicksal seiner Frau und Tochter ist nichts im Detail bekannt.


Nach der Praxisschließung arbeiteten Dr. Levy und sein Bruder eine Zeit lang im Familienunternehmen Fissler und verrichteten dort Büroarbeiten. Wie in vielen anderen Unternehmen auch, wurde überall dringend Personal benötigt, um die zur Wehrmacht einberufenen Mitarbeiter zu ersetzen. In der Ausgabe des Heimatkalenders aus dem Jahr 1982 wird von einem ehemaligen Hitlerjungen und Patienten geschrieben, wie Dr. Levy im das Leben nach einem Unfall rettete. „Zum Glück war rechtszeitig Hilfe zur Stelle. Ich lag hilflos da, das blutige Messer neben mir. Man verband mich notdürftig und rief nach dem nächstbesten Arzt, ohne sich an dem gelben Davidstern zu stören, den er, wie alle seine Glaubensgenossen, damals tragen mussten…Auf einer Bahre wurde ich nach Hause gebracht. Dr. Levy begleitete den Transport, um sich bei meinen Eltern zu entschuldigen. Er entschuldigte sich damit, dass Eile geboten sei und auch er den Hippokratischen Eid geschworen habe.“ Am 27. November 1941 verließ das Ehepaar Levy Idar-Oberstein mit Ziel Bonn. Im Herbst 1941 begannen die Deportationen von jüdischen Menschen aus dem sogenannten „Altreich“ mit Transportzügen der Deutschen Reichsbahn in die von deutschen Truppen besetzten Gebiete im Osten. Ziel dieser Transporte waren oft Polen, Litauen, Lettland und Weißrussland. Dort angekommen, wurden sie in Gettos untergebracht und bis zum Weitertransport in die Vernichtungslager der Nazis zur Zwangsarbeit gezwungen. Nach der 11. Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 25. November 1941verloren alle deutschen Juden, die sich im Ausland aufhielten, nicht nur ihre deutsche Staatsangehörigkeit sondern auch ihr gesamtes Vermögen. Alle Vermögenswerte gingen auf das Deutsche Reich über. Dies wurde nicht nur bei jüdischen Emigranten angewendet, sondern auch auf deportierte Juden. Die Finanzverwaltung hatte die Aufgabe, den Hausrat und das übrige Vermögen der deportierten Juden zu verwerten, welches in der Regel meistbietend versteigert wurde.

In einer Berliner Villa am Wannsee tagten am 20. Januar 1942 hochrangige Vertreter der SS, Polizei und Besatzungsbehörden aus den Ostgebieten um die bereits begonnene systematische Ausrottung der europäischen Juden im Detail genauestens zu organisieren und die Zusammenarbeit der beteiligten Instanzen zu koordinieren.

Nach dieser „Wannsee-Konferenz“ trafen auch die lokalen Behörden verstärkt Maßnahmen alle Juden ausnahmslos zu erfassen und abzutransportieren. Bereits im April 1942 erfolgte ein Transport aus unserem Kreisgebiet. Die zur Deportation bestimmten Juden aus dem Kreis Birkenfeld wurden in ein Sammellager in der Nähe des Bahnhofs von Neubrücke gebracht. Am 28. Juli startete ein Transport mit 1163 Juden ins Ghetto (Konzentrationslager) Theresienstadt (heute Terezín inTschechien).

Am 19. Dezember wurde das Ehepaar Levy zusammen mit anderen jüdischen Mitbürgern im Benediktinerinnen Kloster in Edenich, einem Stadtteil von Bonn interniert. Das Kloster war von 1941 bis 1945 beschlagnahmt und diente anfänglich als Sammellager für Bonner Juden. Die Nonnen mussten das Kloster verlassen und als Pflegerinnen in Altersheimen und Krankenhäusern unterkommen. In den Briefen von Frau Adele Levy, die seit 2001 im Stadtarchiv von Idar-Obersteiner aufbewahrt werden, ist zu lesen, dass ihrem Mann die ärztliche Leitung im Lager Edenich von der Gestapo anbefohlen wurde. Am 27 Juli 1942 wurden die Insassen des Lagers ebenfalls nach Theresienstadt überstellt, wo man erneut Dr. Levy die medizinische Verantwortung für die Gefangenen auferlegte. 

Nach über 26 Monaten Lageraufenthalt wurden die Eheleute Levy am 28. Oktober 1944 in einem Güterzugtransport in das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz deportiert. Der Lagerkomplex befand sich im annektierten Teil von Polen und wurde von 1940 bis 1945 von der SS betrieben. Dort angekommen nahm die SS bereits auf dem Bahnsteig die ersten Selektionen vor und Dr. Levy wurde dort von seiner Frau getrennt. Auf diesem Bahnsteig verliert sich seine Spur. Über sein weiteres Schicksal ist nichts mehr bekannt. Der Begriff Selektion bezeichnet im Nationalsozialismus die Aussonderung von „nicht arbeitsverwendungsfähigen“ Personen, die anschließend ermordet wurden. Im zeitgenössischen Sprachgebrauch der SS-Wachmannschaften wurde dies allerdings als Aussortierung oder Ausmusterung bezeichnet. Nach einer kurzen Zeit in Auschwitz verlegte man Frau Levy in das KZ Bergen-Belsen (Niedersachsen), einige Wochen später nach Salzwedel (Sachsen-Anhalt). Das KZ Salzwedel war ein Frauenlager, das nicht mehr rechtzeitig vor dem Einrücken alliierter Streitkräfte von der SS „geräumt“ werden konnte. 3000 Frauen wurden am 14. April 1945 von der 9. US-Armee befreit.

Als einzige jüdische Überlebende aus Idar-Oberstein kehrte Frau Adele Levy am 17. Juni 1945 nach Idar zurück. Auf Betreiben einer Wiedergutmachungsklage erhielt sie das Hausgrundstück in der Kobachstraße 11 zurück und bezog wieder ihr Haus. Nach intensivem aber erfolglosem Suchen, langem Warten und Hoffen wurde Dr. Levy 1951 für Tod erklärt. Frau Levy starb am 22. Juli 1977 und fand auf dem jüdischen Friedhof in Bonn ihre letzte Ruhestätte. Nach Sensweiler kehrte keiner seiner jüdischen Mitbürger zurück.


Bernhard und Jettchen Levy mussten den Viehhandel wegen starken Rückgangs des Geschäfts aufgeben. Nach 1941 wurden sie deportiert und später für tot erklärt.


Wilhelm Levy (geb. 1870) Sohn von Elias und Adelheid (Stipshausen), verheiratet mit Paula, lebte später in Köln. Deportiert 27.07.42 nach Theresienstadt, Todesdatum 01.08.1943.


Levy Erich (geb. 1927) und Adele Levy (geb. 1930), Kinder von Wilhelm und Paula Levy, deportiert 27.07.42 nach Theresienstadt, 04.10.1944 Ausschwitz, verschollen.


Wilhelm (geb. 1860, Stipshausen) und Rosalie Levy (geb. 1873), lebten bis 1927 in Sensweiler und kauften in Idar ein Haus in der Wingertstraße, das 1940 wieder verkauft werden musste. Umzug mit Tochter nach Köln. Deportiert 27.07.42 nach Theresienstadt, 19.09.1942 Treblinka, verschollen in Minsk. Tochter Martha wurde von Köln aus am 06.12.1941 nach Lettland deportiert, überlebte den Holocaust und kehrte 1945 nach Köln zurück.

 

Moritz Levy (geb. 1897), Sohn von Wilhelm und Rosalie, lebte bis 1927 in Sensweiler, zog dann mit nach Idar und wanderte 1936 nach Holland aus. Seine Schwester

Ella Levy (geb. 1890) folge 1937 nach Holland. Beide wurden nach dem Einmarsch deutscher Truppen von den Nazis ergriffen, deportiert und kamen in Ausschwitz um.


Josef Levy (geb.?) Sohn von Wilhelm und Rosalie, lebte bis 1927 in Sensweiler, zog auch mit nach Idar, anschließend 1934 nach Saarbrücken und weiter nach Luxemburg. Er wurde nach dem Einmarsch deutscher Truppen in die Beneluxländer ergriffen, nach Theresienstadt deportiert und in Ausschwitz ermordet.


2011 verlegte der Kölner Künstler Gunter Demnig 2 Stolperstein vor dem Haus in der Kobachstraße, dass mittlerweile abgerissen worden ist. In Senweiler erinnert nichts mehr an seine jüdischen Mitbürger.


Quellen:

Axel Redmer, „Die Reichskristallnacht in Idar-Oberstein“, Heimatkalender 1982

Udo Salomon, „Idar-Oberstein Geschichte der Stadt von der Antike bis ins 21. Jahrhundert“

Manfred Rauscher, „Ich selbst bin wie ein Wunder dieser Hölle entkommen…“, Heimatkalender 1982

Nahe Zeitung, „Die meisten kamen nicht zurück“, 27.07 2002

Karl Eberhard Wild, „Ausbruch aus dem Gehorsam“, Heimatkalender 1982

Reiner Schmitt, „Die Opfer der nationalsozialistischen Judenverfolgung aus den Orten des Birkenfelder Landes“ 2011